Vielfalt gewinnt
Berlin gilt als herausragender internationaler Technologiestandort. Wie lässt sich dieser Ruf, lassen sich Offenheit und Diversität bewahren?
Berlin, und besonders Adlershof, gilt als herausragender internationaler Technologiestandort. Und hat einen Ruf zu verlieren, wenn sich das politisch-gesellschaftliche Klima weiter weg von Offenheit und Diversität bewegen sollte. Denn internationale Talente sind weltweit gefragt.
Wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Perspektiven zusammenarbeiten, ist das einigen ein Dorn im Auge, wie das ein Blick in die USA, aber auch auf das Ergebnis der Bundestagswahl zeigen. Bedauerlich.
„Gerade in der Wissenschaft und Forschung, wo es um das Finden neuer Lösungen und innovativer Ansätze geht, ist Vielfalt ein entscheidender Erfolgsfaktor“, betont Claudia Eggert, Mitglied des Präsidiums der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Die promovierte Ingenieurin ist dort zuständig für Forschungskoordination und -transfer, Internationale Kooperation und Nachwuchsförderung. Sie verweist auf zahlreiche Studien, die belegen, dass diverse Teams kreativer sind, eine höhere Problemlösungskompetenz haben und langfristig bessere Ergebnisse erzielen.
„Der Grund dafür liegt auf der Hand“, erklärt Eggert. „Unterschiedliche Sichtweisen fördern Diskussionen und hinterfragen bestehende Annahmen, was zu fundierteren und innovativeren Lösungen führt.“ In der Materialforschung beispielsweise erfordere die Entwicklung neuer Werkstoffe oder Prüfverfahren interdisziplinäre Ansätze. „Teams, die kulturell, fachlich und persönlich divers aufgestellt sind, bringen verschiedene Herangehensweisen ein, was die Wahrscheinlichkeit für bahnbrechende Entdeckungen erhöht“, unterstreicht Eggert.
Ein weiterer Vorteil sei die höhere Anpassungsfähigkeit: „Unternehmen und Institutionen, die Diversität fördern, sind flexibler, resilienter und wirtschaftlich erfolgreicher“, so Eggert. Sie könnten sich besser auf globale Herausforderungen einstellen und ein breiteres Spektrum an Talenten nutzen. Für eine international agierende Forschungseinrichtung wie die BAM bedeute das nicht nur eine höhere wissenschaftliche Exzellenz, sondern auch eine stärkere Position im globalen Wettbewerb.
Wie viele fürchtet Eggert jedoch, dass die aktuellen politischen Entwicklungen, insbesondere der Rechtsruck in einigen Ländern, zu einem Rollback in Sachen Diversität und Internationalität führen könnten: „In den USA und Europa gibt es politische Strömungen, die den Wert von Vielfalt in Frage stellen und eine stärker national orientierte Politik verfolgen.“ Dies könnte langfristig den wissenschaftlichen Austausch behindern, internationale Kooperationen erschweren und den Zugang zu Fachkräften einschränken.
Zu Menschen wie Beñat Alberdi Esuain, Forscher am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB), der erst kürzlich am Finale der Adlershofer Dissertationspreisverleihung für hervorragende wissenschaftliche Leistungen teilgenommen hat. Der Spanier lebt und forscht seit vier Jahren in Deutschland und schätzt die Arbeit in internationalen Teams: „Es ist bereichernd, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Sichtweisen kooperieren“, sagt er. „Was auch dazu führt, dass sich wissenschaftliche Probleme leichter lösen lassen.“ Adlershof böte beste Voraussetzungen für multinationale Teams. Auch wenn jeder Englisch spreche, wünscht sich der Baske Deutschkurse auf dem Campus, die so berufsbegleitend besser einzutakten wären. Von einem sich verschärfenden politischen Klima merkt er hier nichts.
Mit Blick auf das Ergebnis der letzten Bundestagswahl ist auch Riccardo Nadalini nicht übermäßig besorgt. „Im Vergleich zu anderen Ländern mutet die politische Situation in Deutschland fast wie harmloses Theater an“, sagt der Italiener,der seit 25 Jahren in Deutschland lebt. Nadalini ist Managing Director der Azimut Space GmbH, einem Forschungs-, Ingenieurs- und Entwicklungsdienstleister in der Luft- und Raumfahrttechnik.
Sein 17-köpfiges Team vereinigt rund ein Dutzend Nationalitäten. Branchenüblich wird Englisch gesprochen, womit sich das Thema Sprachbarrieren von selbst erledigt. „Unsere Tür steht für alle offen. Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft spielen keine Rolle“, betont Nadalini. „Bei aller Diversität in puncto Nationalität, sind die Lebensgeschichten unserer Mitarbeitenden ähnlich: Sie eint vor allem der Fakt, hervorragend ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure zu sein.“
Davon dürften gern mehr den Weg zu Azimut Space finden. Interessierte aus dem Ausland gäbe es genug: „Sie scheitern allzu oft an den hohen Hürden der deutschen Bürokratie“, berichtet Nadalini – und spricht damit aus, was ihn wirklich am Standort Deutschland besorgt. Außerdem: „Mehr als über das politische Klima machen sich unsere Mitarbeitenden über hohe Lebenshaltungskosten, vor allem Mieten, Gedanken.“ Ändere sich hier nichts, werde das künftig dringend benötigte Fachkräfte davon abhalten, nach Deutschland zu gehen.
Aus welchen Gründen auch immer: „Wir sind am Standort dringend auf internationale Forschende und Auszubildende, etwa für die Labore, angewiesen“, betont WISTA-Personalleiterin Bessie Fischer-Bohn. „Gäbe es diese Kräfte und ihre unterschiedlichen Talente nicht, sehen wir den wirtschaftlichen Erfolg von Adlershof gefährdet.“ Daher positioniere sich die WISTA Management GmbH als Landesgesellschaft klar für Vielfalt und Toleranz. Unter Fischer-Bohns Ägide findet nun schon zum dritten Mal eine Diversity Conference statt. „Unter dem Motto ‚Sharing Differences‘ wollen wir mit der Konferenz im Technologiepark Adlershof einen einzigartigen Raum für Inspiration und Austausch schaffen und ein klares Zeichen für Demokratie, Fortschritt und Zukunft senden“, erklärt die Organisatorin. „Es geht auch darum zu vermitteln, wie vielfältig Vielfalt ist.“ Das Spektrum reiche von sozialer Herkunft bis zu Neurodiversität.
An Möglichkeiten, das Thema voranzubringen, mangelt es nicht. „Um Diversität gezielt zu fördern, engagiert sich die BAM unter anderem in Netzwerken wie dem Berlin Research 50 e. V., nimmt an der ‚Sticks & Stones‘, Europas größter LGBTIQ+ Job- und Karrieremesse, teil und unterstützt internationale Mitarbeitende durch ihr Welcome Office“, berichtet Eggert. Das Institut hat zudem die „Charta der Vielfalt“, eine Initiative der Bundesregierung, unterzeichnet. „Mit dem Beitritt zur Charta verpflichten wir uns ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität frei von Vorurteilen miteinander arbeiten können“, erklärt Eggert. So wird die BAM unter anderem weiterhin gezielt internationale Forschende und Fachkräfte ansprechen, ihnen attraktive Arbeitsbedingungen bieten und den Zugang zu Stellen erleichtern. Denn eines ist klar, unterstreicht Eggert: „Diversität ist kein Selbstzweck, sondern ein essenzieller Treiber für Innovation und wissenschaftlichen Fortschritt.“
Chris Löwer für Adlershof Journal