Please Mind the Gap
Drei DLR-Forscherinnen zeigen geschlechtsspezifische Wissenslücken auf, die dazu führen, dass Bedarfe von Frauen in Autos, Bussen und Bahnen nicht erfasst werden
Weltweit rangiert Deutschland in puncto Geschlechtergerechtigkeit in den oberen zehn Prozent, aber es bleiben hartnäckige Lücken. Besonders bekannt ist die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern (Gender-Pay-Gap). Weniger bekannt ist, dass sich die Gestaltung von Verkehrsmitteln vorrangig an Männern orientiert, und Frauen dadurch systematisch benachteiligt werden. Diese Lücke steht im Mittelpunkt der 2024 veröffentlichten Studie „Please Mind the Gap“, die von den Verkehrsforscherinnen Laura Gebhardt, Sophie Nägele und Mascha Brost vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof erstellt wurde.
Besonders beim Auto wird deutlich, dass Mobilität von Männern und für Männer gemacht wird. Dabei ist es keine Kleinigkeit, dass Sitze, Gurte und Airbags auf einen durchschnittlichen Mann ausgerichtet sind und Crash-Tests nur mit männlichen Dummies gemacht werden. Während ein zu niedriger Sitz eine Unannehmlichkeit darstellt, kann ein falsch gestalteter Gurt lebensgefährlich sein. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln bleibt der Mann die Norm – dabei nutzen Frauen diese im Durchschnitt häufiger. Sie legen auch kleinteiligere Wegeketten zurück und führen Kinderwagen und Einkäufe mit sich, weshalb höhengleicher Einstieg sowie erreichbarer Abstell- und Stauraum für sie von großer Bedeutung sind.
Wissenschaftliche Daten müssen diese Bedarfe systematisch abbilden, damit sich die Praxis ändert, sagt Laura Gebhardt, Leiterin der Forschungsgruppe Bedarfsorientierte Gestaltung von Verkehrsmitteln. Sie untersucht die Mobilitätsbedarfe von unterschiedlichen Nutzendengruppen. Den Anstoß für die Beschäftigung mit dem Thema Geschlecht gab das Buch „Unsichtbare Frauen” von Caroline Criado-Perez. Die Kernaussage dieses Standardwerks zum „Gender-Data-Gap“ ist, dass in einer von Daten beherrschten Welt, die Hälfte der Bevölkerung ignoriert wird. So zum Beispiel in der IT, dem Gesundheitswesen und vielen anderen Lebensbereichen. Als eine mit Daten arbeitende Wissenschaftlerin war Gebhardt fasziniert von dieser empirischen Lücke: „Das war ein Eye-Opener für mich, um zu fragen: Wie ist das eigentlich bei Mobilität?“
Ihre Studie fokussiert neben Funktionalität, Komfort und Sicherheit auch auf Hygiene: Frauen haben anatomisch, durch Zyklus oder Schwangerschaft, besondere Anforderungen an Sanitäranlagen. Studien zeigen, dass viele Frauen auf Reisen die Flüssigkeitszufuhr vermeiden, um öffentliche Toiletten nicht nutzen zu müssen. Persönlich ist Gebhardt im Arbeitsalltag wenig davon betroffen. Ihren eigenen 45-minütigen Arbeitsweg nach Adlershof legt Gebhardt mit dem Fahrrad zurück.
Das Umfeld des Technologieparks Adlershof sieht sie differenziert: „Die Tatsache, dass hier in Adlershof jeden Tag viele kluge Köpfe forschen, gefällt mir gut. Als Stadtraum finde ich es eher funktional. Ich wünsche mir da mehr Begegnungsräume, ein paar mehr nette Cafés.”
Wenn es um die Bedarfe von Frauen geht, plädiert die Forscherin für flexible Lösungen: „Verstellbare Haltegriffe sind sinnvoller, als einfach eine Schlaufe an die Decke zu schrauben, wo die halbe Bevölkerung nicht gut herankommt.” Vergleichbare Studien haben ergeben, dass solche Maßnahmen, die Benutzbarkeit für alle verbessert. Als sie die Kommentare unter einem Artikel über ihre Studie liest, stellt sie trotzdem fest, dass gesellschaftliche Diskussionen nicht vor der Verkehrsforschung haltmachen: „Sobald das Wort ‚Gender‘ auftaucht, kippt die Stimmung.” Dabei verfolgt die Wissenschaftlerin ein wichtiges Ziel: bessere Daten für eine flexiblere und gerechtere Mobilität für alle.
Simon Wolff für Adlershof Journal
„Shrink it and pink it“ ist nicht genug – Artikel aus dem DLRmagazin