Wagniskultur vs Polycrisis: Wo beginnt die eigene Verantwortung?
Ein Interview mit Bessie Fischer-Bohn, Bereichsleiterin Personal / Organisation / Qualität bei der WISTA Management GmbH
In Zeiten der Polycrisis fällt es schwer, Orientierung und Halt zu finden. Alles schreit nach Verantwortlichen, so scheint es. Und nach Verantwortung, dem Buzzword unserer Zeit. Gut so, findet Bessie Fischer-Bohn. Die Wirtschaftspsychologin, Ärztin und HR-Expertin übernimmt gern Verantwortung. "Wer lieber Fingerpointing betreibt und keine Verantwortung übernimmt, verpasst die Chance auf Selbstwirksamkeit", sagt sie. Aber wo anfangen? Und wie genau? Ein Gespräch, das Lust auf Verantwortung macht.
Frau Fischer-Bohn, es scheint, Verantwortung ist das Buzzword unserer Zeit. Teils ist von “historischer Verantwortung” die Rede. Was finden Sie an der aktuellen Debatte rund um Verantwortung gut?
Das Verantwortung zunehmend mit Sinnhaftigkeit verbunden wird. Mit Orientierung und Zukunft. Denn wir erleben aktuell eine Polycrisis: Mehrere Krisen laufen parallel. Das führt oft zu einem Gefühl der Haltlosigkeit, der Benommenheit, der Ohnmacht. Wer aber Verantwortung übernimmt, im großen oder auch im kleinen Wirkungskreis, kann den Weg raus aus der Orientierungslosigkeit hin zur Selbstwirksamkeit finden.
Interessant, denn viele Menschen verbinden mit Verantwortung eher etwas Schweres und Belastendes. Wer aktuell Verantwortung trägt, steht im Rampenlicht und oft in der Kritik.
Ja, denn Verantwortung geht oft mit Fehlern einher. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Aber Fingerpointing und die Suche nach den Schuldigen enden aus meiner Sicht immer in einer Sackgasse. Die Folge daraus ist, dass sich niemand mehr traut, etwas zu wagen. Und dabei müssen wir ausgerechnet jetzt innovativ bleiben, uns trauen und etwas wagen, um uns neuen globalen Herausforderungen stellen zu können. Wichtig ist, die Späne, die dabei fallen, zu untersuchen und sie zu benennen. Das ist auch eine Frage der Kultur: Ich finde, Deutschland braucht mehr als eine Fehlerkultur: Wir brauchen eine Wagniskultur. Sie zu pflegen und sie zuzulassen, ist die Verantwortung aller.
Sie sind Mutter, Ärztin, Personalleiterin – es scheint, Sie übernehmen gern Verantwortung. Finden Sie, das ist Charaktersache?
Sicher ist es auch Teil unserer Beschaffenheit. Aber mit der Verantwortung ist es ja so, dass sich ihr jeder Mensch früher oder später stellen muss. Niemand kann sich ihr entziehen. Wenn wir aber bewusst Verantwortung für unser Handeln übernehmen, dann verstehen wir auch, welchen Einfluss wir haben – auf uns persönlich und im größeren Kontext: gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch. Selbst über Ländergrenzen hinaus.
Können Sie ein Beispiel nennen? Wo beobachten Sie Entwicklungen, die die Verantwortung einzelner weitreichend abbilden?
Im Fachkräftemangel beispielsweise: Er macht das Geflecht rund um Verantwortung und Konsequenzen sehr deutlich. Unternehmen sind aktuell sehr stark mit dem Mangel an Arbeitskräften konfrontiert – und das branchenübergreifend. Parallel haben sie es mit einer nachziehenden Generation zu tun, die auf Purpose setzt. Auf sinnstiftende, gesunde Arbeit bei zukunftsorientierten, inklusiven Arbeitgeber:innen. Nun kann man sagen, das ist eben so, die Verantwortung abgeben – wohin auch immer – und schauen, wie man klarkommt. Aber die Verantwortung der Unternehmen liegt ja eben auch darin, Einfluss zu nehmen – auch auf gesellschaftliche Tendenzen.
Wie genau? Wie erleben Sie es denn konkret als HR-Expertin?
Als Personalleiterin bei der WISTA Management GmbH habe ich die Freiheit, aber eben auch die Verantwortung, Talente ausfindig zu machen, sie einzustellen und weiterzuentwickeln – auch darin, dass sie in Zukunft Verantwortung übernehmen können. Das hat weitreichende Folgen, denn: Menschen, die sich in ihrem Fach und ihrem Arbeitsumfeld wohlfühlen, die sich weiterentwickeln können, übernehmen auch gern Verantwortung. Langfristig gesehen tragen sie damit zur Sicherheit aller bei. Sie sichern Arbeitsplätze, sie sichern die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und sie steigern die Attraktivität ganzer Wirtschaftsstandorte. Das ist ein großes, übergeordnetes Ziel, das mit der Verantwortung einzelner einhergeht.
Welche Verantwortung trägt WISTA als Landesgesellschaft?
Eine extrem hohe, sie hat eine Vorbildfunktion. Die WISTA platziert extern Themen von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Sie bietet Raum, Mittel und Begegnungen für mehr Wagniskultur. Damit geht einher, dass wir intern so verantwortungsvoll miteinander und unseren Aufgaben umgehen, dass wir zur Innovation beitragen. Diese Verantwortung teilen wir uns.
Um Verantwortung für Innovation zu übernehmen, braucht es also Räume, Mittel, Möglichkeiten und Begegnungen. Nun haben wir insgesamt erschwerte Bedingungen. Ist das ein Problem?
Nun, es ist eine Chance. Krisen machen sichtbar, was in prosperierenden Zeiten übersehen wurde. Und – das klingt vielleicht etwas platt, aber: Man hat die Rahmenbedingungen, die man eben hat. Jede Generation, jedes Jahr hat andere Vorzeichen. Die Kunst ist, in dem Feld Verantwortung zu übernehmen, in dem man Talente und Kompetenzen hat. Die sollte man ausfindig machen. Ich beobachte, dass Familienunternehmen sehr gut darin sind, sich ihrer Stärken und Schwächen – vor allem in Krisenzeiten – bewusst zu werden. Deswegen rate ich auch als Mentorin, sich persönlich folgende Fragen zu stellen: Was kann ich? Was wünsche ich mir? Wofür würde ich gern Verantwortung übernehmen? Das ist der erste Schritt.
Welche Leitfragen kann sich jede:r für die nächsten Schritte stellen?
Welches Maß an Verantwortung kann ich tragen?
Welcher “Verantwortungstyp” bin ich? Denn es ist ja nicht jede:r im gleichen Maße dafür geschaffen, Gründer:in zu werden oder Forscher:in. Zu jedem Menschen passt eine andere Form der Verantwortung. Immerhin hat auch jeder Mensch eine andere Persönlichkeitsstruktur. Wichtig ist, sich die eigene bewusst zu machen.
Wen habe ich an Verbündeten?
Wer beschäftigt sich mit verwandten Themen? Wer ist in meiner Nähe, der oder die mir die richtigen Impulse und andere Perspektiven gibt? Wer kann mir ein:e Sparringspartner:in sein?
Was gibt es woanders?
Wie kann ich mein Bild vergrößern? Woher bekomme ich neue Anreize und Informationen? Benchmarks und der Blick über den Tellerrand sind wahre Wegweiser auf dem Weg zum eigenen Verantwortungsbereich.
Was ist Ihr abschließender Gedanke?
Verantwortung kann schwer sein. Und diese ganzen Themen, mit denen wir uns aktuell herumschlagen, sind oft auch sehr negativ behaftet. Aber in dem Moment, in dem wir erkennen, wo wir Verantwortung für Veränderung übernehmen können, egal wie klein, erhalten wir die Chance, Einfluss zu üben. Das öffnet Türen zu möglich positiven Entwicklungen. Verantwortung weist den Weg aus der Hilflosigkeit. Sie macht uns selbstwirksam. Und mutig!
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Fischer-Bohn.
Das Interview führte Despina Borelidis.
Kontakt:
Bessie Fischer-Bohn